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Vollmond

 

1

Es war ein grausamer Winter. Joanna stand am Fenster ihres Zimmers. Ihr Atem ließ die Fensterscheibe beschlagen. Sie sah auf die schneeverwehte Straße. Die Autos fuhren ganz langsam auf der zugeschneiten Straße. Alle halbe Stunde, fuhr ein Schneepflug vorbei. Sie schaute den dicken Schneeflocken nach, die vor dem Fenster tanzten und dann zu Boden fielen. Seit Wochen hielt dieses Wetter an. Zwischendurch war es tagelang eisig kalt. Bis zu -21°C konnte man auf dem Thermometer ablesen. Doch jetzt setzte der Schneefall wieder ein und es sah auch nicht so aus, als würde es sobald wieder aufhören. „Mindestens schon 10cm", drang die Stimme von Luise, die in der Stube saß und ein Buch las, an ihr Ohr. Ihre 3 Jahre jüngere Schwester, hielt sich die meiste Zeit des Tages im Haus auf. Im Winter war dies nicht besonders verwunderlich, nur blieb sie im Sommer meistens auch in der Wohnung. Joanna feierte vor einer Woche ihren 29. Geburtstag. Es gab keine große Feier. Sie hatten sich eine Torte gebacken und ein paar Kerzen angezündet. Es war recht lustig zugegangen.

Als Joanna 12 und Luise 9 waren, kamen ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben. Zunächst zogen sie bei ihrer Oma ein und später zogen sie wieder in ihr Elternhaus zurück. Joanna war 17 und Luise 14. Zu dieser Zeit war noch alles in Ordnung. Sie kamen gut allein zurecht. Klar, manchmal gab es Probleme, aber sie hielten immer zusammen und versuchten alles miteinander und nicht gegeneinander.

Das Zimmer lag dunkel hinter ihr, als Joanna in die Wirklichkeit zurückkehrte. Sie stand öfters an ihrem Fenster und dachte an vergangene Zeiten zurück. Es gehörte für sie einfach zum täglichen Leben dazu, dass sie über alles nachdachte. Manchmal entdeckte sie ganz neue Seiten an sich. Luise kam ins Zimmer. Sie wusste, dass Joanna jeden Tag an ihrem Fenster stand und die Gedanken in ihrem Kopf sich überschlugen. Das respektierte sie auch, denn Joanna brauchte das. Sie hatte damals am meisten von ihnen gelitten, als sie erfuhren, dass ihre Eltern einen schweren Autounfall hatten und noch am Unfallort ihren Verletzungen erlagen. Sie war auch die ältere und bekam am meisten davon mit. Ihre Oma hatte auch eine schwere Zeit, sie musste sich um die Kinder kümmern und sie trauerte um ihre verstorbene Tochter und deren verstorbenen Mann. Luise wusste nicht, wie sie ihrer älteren Schwester hätte helfen können. Sie ging zu Joanna.

„Hey Luise, wie geht’s dir?", fragte Joanna, als sie bemerkte das sie nicht mehr alleine war. Sie drehte sich zu Luise um.

„Ich dachte, wir könnten langsam Abendbrot machen. Tut mir leid wenn ich hier so einfach reinplatze, aber die Tür stand offen."

„Ist schon in Ordnung."

„Ich geh schon mal." Joanna nickte stumm. Luise trat aus dem Zimmer und ging in die Küche. Joanna stand noch eine Weile und folgte ihr dann nach.

„Sag mal", sagte Joanna „ hast du dein Buch schon fertig gelesen?". Luise nickte.

„Warum?"

„Nur so".

Die Stimmung war getrübt. Niemand bemerkte den Mond, der in diesem Moment um die Hausecke trat. Der Vollmond erschien im vollen Glanz und erhellte den Himmel. Viele Menschen können bei Vollmond schlecht schlafen, andere wiederum sind von ihm fasziniert. Er strahlt Licht und Wärme aus. Er kann lachen und er kann weinen. Man kann das Leben in ihm deuten. Für Joanna und Luise war der Vollmond eine Erinnerung, an ein Schreckliches, aber auch unheimliches Ereignis und er hatte ihnen sehr geholfen. Er war ihr bester Freund.

Sie saßen am Tisch. Luise bemerkte ihn als erste.

„Schau Joanna, unser Freund ist wieder da". Auch sie schaute jetzt aus dem Fenster und sah ihn. Sie schaute zu Luise und sie sah ihr an, dass in ihr die Geschichte wieder hochkam.

 

2

Sie wohnten damals bereits seit 2 Jahren allein. Ihre Oma zog zu einer Freundin, als sie beschlossen, dass sie in ihr

Elternhaus zurück gehen würden. Sie wollte den beiden nicht im Weg stehen. Vor dem Erlebnis konnte Joanna nie gut bei Vollmond schlafen. Der Mond schaute immer direkt in ihr Fenster. Luise war 16 und eigentlich selten daheim. Vormittags war sie in der Schule und danach bei Freunden oder mit ihnen unterwegs. Manchmal rief sie sogar bei ihrer älteren Schwester daheim an. Sie solle sich keine Sorgen machen, es sei alles in Ordnung und es könnte etwas später werden. Für ein bis zwei Stunden war sie mal Nachmittags daheim. Nur wenn sie lernen musste, war sie meistens den ganzen Nachmittag daheim. Luise hatte keine großen Schwierigkeiten in der Schule. Sie schrieb höchstens mal eine 4. Joanna musste sich darum nie groß kümmern. Sie schaute Luise manchmal über die Schulter, aber sie musste ihr fast nie helfen. Darüber war sie sehr froh, denn sie hatte auch so schon viel zu tun und hatte wenig Zeit. Mal hin und wieder ein Nebenjob und ihre Oma schickte ihnen auch immer Geld. Sie rief jede Woche an und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei und ob sie zurechtkamen. Ohne ihre Oma, würden sie wahrscheinlich längst unter der Brücke sitzen. Meistens erzählte sie dann noch von ihren Problemen, Sorgen und Nöten. Nach zehn Minuten war das Gespräch meistens beendet. Was sollte man auch groß erzählen. Luise nervte diese ständige Anruferei. Wenn etwas wäre, könnten sie sich auch melden.

Es war Samstag, als Oma gerade anrief und Luise ans Telefon ging.

„Ja", sagte sie erwartungsvoll - sie wartete eigentlich auf einen Anruf von Jessica, ihrer Freundin, die sie am Nachmittag abholen wollte.

„Hallo, bist du es Luise?"

„Oh ja, du bist’ s Oma." Ihre Stimme senkte sich.

„Was ist denn los, ist etwas passiert ? Du klingst so komisch".

„Nein, nein. Ich habe nur auf einen Anruf gewartet, aber ich freue mich dich zu hören. Es ist hier alles in Ordnung"

„Das freut mich, dass es euch gut geht. Gibt es sonst irgendwas neues?"

„Nö, eigentlich nicht. Ist bei dir auch alles in Ordnung?", fragte Luise anstandshalber.

„Nein, es gibt hier auch nichts Neues. Also dann will ich auch nicht länger stören. Ist Joanna im Haus?"

„Nein, die ist einkaufen."

„Ok, dann bis zum nächsten Mal. Grüß Joanna von mir und mach’s gut."

„Ja, mach ich danke. Tschüss." Sie legten beide auf. Eine Stunde später, kam Joanna vom Einkaufen zurück.

„Viele Grüße von Oma, bei ihr ist alles in Ordnung", übermittelte ihr Luise.

„Wirklich, hat sie schon angerufen? Ich wollte eigentlich noch mal mit ihr persönlich reden".

„Sie ruft doch nächste Woche wieder an", entgegnete ihr Luise.

„Na ja, es reicht auch noch nächste Woche." Joanna war sichtlich betrübt, es schien wichtig gewesen zu sein. Später rief dann endlich Jessica an. Sie wollte um 17 Uhr vorbeikommen und Luise abholen. Sie wollten dann zu Freunden gehen und weitersehen. So auf um 23 Uhr, wollte sie wieder daheim sein, sagte sie zu Joanna. Luise hielt auch bis jetzt immer Wort. Joanna brauchte sich da nie Sorgen zu machen. Und sie gönnte ihr auch den Spaß. Sie konnte Luise vertrauen. Joanna machte sich einen schönen gemütlichen Abend. Sie war Samstags meistens allein und schaute Fernsehen, nahm sich ein spannendes Buch vor oder hörte einfach nur Radio. Es gab nicht viel Möglichkeiten, in dieser verlassenen Gegend. Die meisten jungen Leute waren schon längst weggezogen. Jessica wohnte 2 km entfernt und hatte ein Moped. Damit holte sie auch Luise ab.

Luise erinnerte sich, dass sie erst zu Jessica und danach zu Freunden fuhren. Sie sind dann ins Kino gegangen und danach waren sie noch in dem gemütlichen Café, von dem Frank so schwärmte. Er liebte die Sitzmöbel und die Getränke waren einsame Spitze. Er hatte dort seine Freundin kennen gelernt und war jetzt schon seit zweieinhalb Jahren mit ihr zusammen. Luise und Jessica blieben nicht so lange wie die anderen, sie verabschiedeten sich und fuhren kurz vor dreiviertel elf los. Sie fuhren die Straße entlang. In der Dunkelheit konnten sie wenig sehen, aber sie kannten die Strecke in- und auswendig. Ganz plötzlich, mitten am Himmel, rissen die Wolken, wie ein Vorhang auf und der strahlende Vollmond tauchte auf. Er blendete sie so sehr, dass sie für einen Moment die Richtung nicht mehr halten konnten. Sie kamen von der Straße ab und fuhren auf einen unbekannten Weg. Sie kannten sich nicht mehr aus, fuhren kreuz und quer und wussten am Ende überhaupt nicht mehr, wo sie waren. Jessica versuchte zurückzufahren, aber sie verirrten sich immer mehr und fanden nicht mehr auf die Straße zurück. Sie dachten sie wären in einer anderen Welt, nichts kam ihnen hier bekannt vor. Dann tauchte vor ihnen auf einmal ein großes Gebäude auf. Es sah wie eine alte Fabrik aus. Sie hielten an und stiegen ab. Luise schaute auf die Uhr. Es war 23 Uhr ...

 

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